Basics: Beinahe 2/3 der heutzutage produzierten Textilfasern sind synthetisch – im Wesentlichen also „Plastik“ (Polyester, Nylon, Acryl, Elastan). Einem immer größeren Prozentsatz der Bekleidung werden Synthetik beigemischt, was sie schwerer recycelbar macht. Rund 60% der globalen Faser-Produktion sind Polyester. Der chemische Prozess bei der Herstellung synthetischer Fasern ist sehr Energie aufwändig und Erdöl-basiert, trägt signifikant zu CO2-Emissionen und Klima-Erwärmung bei. Die Fasern sind nicht kompostierbar und verbleiben oft für Jahrhunderte in der Umwelt. Als weiteres Problem kommt die Belastung der Meere, Luft und Gewässer mit Mikroplastik hinzu. Geschätzt eine halbe Million Tonnen synthetischer Mikrofasern pro Jahr werden vor allem beim Waschen synthetischer Textilien in die Meere abgegeben- das entspricht in etwa einer Menge von 50 Milliarden Plastikflaschen.
Auszüge aus der Diskussion mit Thomas von Wittern und Claudia Schwarz:
Es werden die Vor- und Nachteile des Einsatzes von recyceltem Polyester diskutiert, wobei sich Expert*innen und Runde einig sind, dass es derzeit auch klare Nachteile gibt bzw. noch zu klärende offene Fragen bez. der Wirtschaftlichkeit, echten Nachhaltigkeit und gesundheitlicher Aspekte, die es zu beobachten, zu hinter- und nachzufragen gelte.
Thomas von Wittern betont, dass grundsätzlich alles, was recycelt wird, erstmal besser sei als es nicht zu recyceln. Jedoch ist Recycling kein Selbstzweck und kein „Alibi“, die Produktion problematischer Stoffe einzudämmen zu müssen und echte Alternativen zu entwickeln. Gewichtiger Nachteil der recycelten Polyester-Fasern sei, dass sie zurzeit erst 1-mailig wiederverwertbar sind und noch nicht wiederholt. Möglicher Weise sei das künftig einmal technisch lösbar. Die recycelte Faser enthält auch toxische Rückstände, über die man tw. noch zu wenig Bescheid weiß, diese können u.U. chemische Reaktionen und – wenn direkt auf der Haut getragen- auch Allergien auslösen. Ziel muss es sein, keinen belasteten Müll zu generieren und Fasern zu entwickeln, die mehrfach wiederverwendet werden können und die beim Tragen oder beim Waschen nicht erneut Mikro- oder Nanopartikel ins Wasser abgeben.
Das derzeitige Marketing vor allem großer Firmen ist nicht transparent genug, setzt einseitig auf das Motiv „Weniger Plastik in den Meeren“. Kunden vertrauen auf das „story telling“, viele Menschen wollen gar keine umfassenderen oder differenzierten Infos bzw. sind schnell überfordert. Hier wären statt Influencern eher „Sinnfluencer“ gefragt, die Orientierung bieten und denen ich als Kunde vertraue. Verbraucher müssen kritischer werden, um Alternativen eine Chance zu geben. Wir bräuchten so etwas wie den „Tessla der Modebranche“. Die Modeindustrie muss Geld und Energie einsetzen, um echten Wandel rascher voranzutreiben.
Claudia Schwarz berichtet, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Riesenthema in der Modebranche sei, sondern natürlich auch an den einschlägigen Universitäten.
Zur Größenordnung: ca. 65% des eingesetzten Materials in der Modeproduktion ist heute Polyester. Kleidung aus oder mit Polyester ist jedoch Müll, der in der Umwelt verbleibt und nicht verschwindet.
Polyester kann sehr billig produziert werden, deshalb die Berge an billiger Kleidung und auch Altkleidung. Recyceltes Polyester sei primär ein Marketing Tool, um diesen Trend nicht brechen zu müssen. Nano- und Mikropartikel lösen sich auch beim Gebrauch recycelter Fasern. Dafür gebe es zurzeit noch keine zufriedenstellende Lösung. Der Kauf von Produkten aus/mit recycelter Ware bietet dem Kunden eine Rechtfertigung, etwas Sinnvolles zu tun – es erfordert keine Verhaltensänderung. So bleiben auch die PET-Flaschen beim Verbraucher nicht ganz so negativ besetzt – denn es wird ja mal z.B. ein Sportschuh oder ein T-Shirt draus. Rebound Effekte sind unerwünscht und oft unbekannt.
Hinzu kommen immer wieder auch durch mangelnde Transparenz entstehende Gerüchte, dass das eingesetzte Plastik gar nicht oder zu einem geringen Teil aus den Meeren stamme sowie die Sorge, dass wegen der großen Nachfrage mittlerweile neue PET-Flaschen von vornherein nur für die Erzeugung für den „recycelten“ Stoff produziert werden. Bei den meisten Firmen, die mit recyceltem Polyester werben, ist der Anteil in der Gesamtproduktion nur minimal –das Marketing dagegen phänomenal. Es werde wegen der guten Akzeptanz zu wenig über Alternativen geforscht. Verbraucher glauben die plakativen Geschichten meist nur zu gern anstatt zu recherchieren. Es mehren sich Berichte, dass PVC-Beschichtungen bei Outdoorkleidung im Gebrauch toxisch sind.
Weitere Punkte aus der Diskussion:
Gesundheitliche Aspekte müssen besser recherchiert werden, es gibt Berichte, nach denen Chemikalien von Outdoorkleidung im Blut von Kindern nachgewiesen wurden.
Zur Frage wie Outdoorkleidung Produzenten wie Vaude und Patagonia mit dem Thema umgehen? Sie argumentieren für den Einsatz von Polyester damit, dass es derzeit bei diversen Outdoor- und Extremsportarten keine Alternative zu Polyester gebe. Das Problem hierbei: Outdoorbekleidung für Extremsport wird immer mehr zur hippen Alltagskleidung und daher steigt der Anteil (Parallele: die SUVs und Geländewagen, die immer mehr die Stadt erobern.) Allerdings wird hier parallel wohl auch ernstzunehmend nach alternativen Materialien gesucht.
Fakt ist, dass überwiegend PET und PPT in recyclierte Polyesterkunststoffe einfließen. Aus Kostengründen ist es häufig einfacher, nicht genutzte PET Flaschen direkt zur verwenden, da die Sammlung (speziell in den Meeren) und die Reinigung kostentechnisch vielfach keinen Sinn macht und die Transportfrage ökologisch noch vollkommen ausgeklammert wird. Die großen Hersteller von Kunstfasern (inkl. recyclelte Fasern) sind vorwiegend nicht dort angesiedelt, wo die Abfallstoffe anfallen.
Der Nachhaltigkeits „Hype“ darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass zur Zeit die F&E Aufwendungen der Industrie für die Weiterentwicklung natürlicher Fasern, Webtechniken, Naturfasern aktuell nur einen einstelligen Prozentsatz des Marketings für die genutzten Stoffe und Textilien darstellen und die Industrie häufig noch keinerlei Entsorgungs-/Verwertungsverantwortung für die von Ihnen eingesetzten Materialien hat. Solange dies global der Fall ist, findet Veränderung viel zu langsam statt. Allerdings scheint hier jüngst auch einiges in Bewegung zu kommen.
Es besteht Konsens darüber, dass Polyester wenn überhaupt, dann wenigstens vor allem in jenen Textilbereichen eingesetzt werde, die bestimmte Anforderungen an die Fasern haben (wie z.B. wasserdicht etc.)
Wichtiges Bildungsthema sei es, das Bewusstsein für nachhaltige Textilien (ökologisch und sozial) und deren nachhaltigen Gebrauch voranzutreiben, wie auch für gutes Design, Haltbarkeit und die „sinnliche Stofflichkeit“. Es kann den Konsument*innen nicht ganz erspart bleiben, sich hier auch aktiv selbst zu informieren und nachzufragen.
Vorläufiges Fazit: Als Fair Fashion Forum stehen wir dem Trend sehr kritisch gegenüber, werden Entwicklungen, Alternativen, Studien weiter im Auge haben und diese nachfragen bzw. uns bemühen, uns und euch am Laufenden zu halten.